Anton Raff (GND 119216485)

Aus Personenlexika
Wechseln zu: Navigation, Suche


Daten
Nachname Raff
Vorname Anton
GND 119216485
( DNB )
Wirkungsgebiet Kunst


Anton Raff in der BSB

Raff, (Anton), Deutschlands und Italiens erster Tenorsänger, um die Mitte des 18ten Jahrhunderts, wurde 1714 zu Gelsdorf, im Herzogthume Jülich, geboren, war ein Schüler des berühmten Bernacchi, brachte den schönsten Theil seines Lebens in Italien zu, machte Reisen durch ganz Deutschland, Frankreich, Spanien und Portugal, und war anfangs Hofsänger beim Churfürsten Clemens August von Cöln, der ihn 1736 mit sich zu seinen Bruder den Churfürsten von Baiern Carl Albrecht nahm, dann aber beim Churfürsten von der Pfalz Carl Theodor, in dessen Dienste er im August 1770 mit einem jährlichen Gehalte von 1500 Gulden gekommen ist. Wo er an einem Hofe hinkam, ward sein schöner Gesang bewundert, und jedermann entzücket. Den großen Sänger Raff singen zu hören, bestrebte sich jeder Künstler, und Mächtige dieser Erde beeiferten sich ihn zu erhalten; aber Raff blieb seinem Churfürsten getreu, und verkaufte nicht seine Person um Geld. Die Achtung für diesen Künstler war so, wie sein Ruf, allgemein, und wo er bei einem Fürsten erschien, erwies man ihm alle Artigkeit, beschenkte ihn königlich, verehrte ihm goldene Ehrenketten, und zeichnete ihn überall als den ersten Sänger aus. Pabst Pius VI. schätzte vorzüglich diesen Künstler, und ernannte ihn zum Ritter des goldenen Sporns. Was die Macht seiner Töne, seines Gesanges vermochte, beurkundet folgende Thatsache. Die Prinzessinn Belmonte Pignatelli verlor in ihrer Jugend einen Gatten, den sie anbetete, und versank in ein fühlloses Hinbrüten, das ihr den Tod drohete. Keine Klage konnte sie stöhnen, keine Thräne hervordrängen. Seit einem Monate befand sie sich unverändert in der nämlichen furchtbaren Lage. Gegen Sonnenuntergang trug man die Kranke in ihre Gärten; doch nicht der Anblick des reinen Aethers, nicht aller mit den Reitzen der Natur vereinter Zauber der Kunst, selbst nicht der ruhende, stille, bewegende Mondschein konnte die sanften Erschütterungen hervor bringen, die dem Schmerz ein Beet graben, in das er sich ergiessen, und dadurch das herbe und schneidende mildern mag.

Damals -- es war das Jahr 1778 -- durchzog der berühmte Tenorist Raff Neapel; er wünschte die berühmten Zaubergärten der Prinzessinn zu sehen. Er erhielt die Erlaubniß, doch empfahl man ihm, sich nicht dem Bosket zu nahen, in dem sich die Prinzessinn befand. Eine ihrer Kammerfrauen wußte, daß Raff im Garten war; sie schlug der Prinzessinn vor, nicht ihn zu hören, aber ihn zu sehen, und ihm zu erlauben ihr aufzuwarten. Raff nahete sich; er war unterrichtet. Nach einigen Momenten des Schweigens bat die nämliche Kammerfrau die Prinzessinn um die Erlaubniß, daß ein so berühmter Sänger, der nie die Ehre gehabt habe, vor ihr zu singen, mindestens seine Stimme vor ihr hören lasse, mit einigen Strophen von Rolli und Metastasio. Keine bestimmte Weigerung erfolgte; Raff entfernte sich also etwas, und sang mit rührender Stimme das erste Couplet von Rolli, welches also beginnt: Solitario bosco umbroso etc. Seine Stimme war damals noch in ihrer Kraftfülle -- eine der schönsten und rührendsten; die Melodie einfach -- die Worte dem Orte, den Umständen vollkommen angemessen. Alles dieses wirkte so mächtig auf die Organe, welche die düstere Verzweiflung so lange unaufgeregt gelassen hatte, daß die Thränen sich endlich Luft machten, und strömten. Sie flossen einige Tage unaufhaltsam, und diese wohlthätige Erschütterung rettete die Kranke vom unfehlbaren Tode.

Um seinen guten moralischen Charakter und sein edles Herz kennen zu lernen, seye es erlaubt, hier einige Züge aus seinem Privatleben anzuführen. Als er um 1740 seinen Geburtsort besuchte, und ihm erzählt wurde, daß ein junges Mädchen aus Armuth gehindert wäre, ihrer Neigung gemäß, in ein Kloster zu gehen, gab er in Düsseldorf zu ihrem Beßten ein Konzert, dessen Einnahme mehr am Gelde betrug, als sie zur Aufnahme in das Nonnenkloster nöthig hatte. Eben so schön, und in jeder Rücksicht noch nützlicher, handelte er in der Rheinpfalz. In Bretten war ein armer Bürger mit seinem Weibe und drei noch kleinen Kindern dergestalt verschuldet, daß es schon an dem ware, daß seine Gläubiger sein ganzes Vermögen an sich zogen, das ihnen die Gerichte in Ermanglung anderer Zahlungsmitteln zuerkannten. Die Familie war in Verzweiflung, ohne Obdach, ohne Hilfe. Raff reiste eben durch diesen Ort, und hörte in der Schenke, wo er sich einige Zeit verweilte, von dem harten Schicksale dieser braven Leute. Er erkundigte sich: ob sie durch Unhäuslichkeit in diese mißliche Lage gekommen wären? und als man ihm versicherte, daß sie durch Unglücksfälle, und durch zu harte Uebernahme des Häuschens und des Gewerbes in diese traurige Lage gestürzet worden, gieng er zu Gericht, und erlegte dort baar 800 Gulden, um die Familie zu retten. Als dieses der arme Bürger erfuhr, begab er sich mit seinem Weibe und Kindern in die Schenke, und wollte seinem Wohlthäter danken; allein Raff war schon fortgefahren, ihn lohnte süßer das Bewußtseyn einer guten That.

Raff sang noch in alten Tagen mit Gefühl und einer entzückenden Anmuth[1]; doch nicht um Lohn, und obgleich ihm der Churfürst ein ruhiges Alter gewähret, und ihm eine ansehnliche Pension bewilliget hatte, auch er selbst ein Mann war, der sich ein bedeutendes Vermögen erworben und erspart hatte; so war er doch dadurch noch nützlich für die Kunst, daß er unentgeldlich noch manchen Zögling bildete. Raff war ein solider guter Mann, ernsthaft, und im Umgange trocken, redlich gegen jedermann, und Freund dem Freunde. Er starb zu München, wohin er mit dem pfälzischen Hofe gekommen, den 28. Mai 1797. Seine Grabschrift ist:

Dem grossen Sänger Raff.

Hierauf folgt eine lateinische Innschrift folgenden Innhaltes:

Antonius Raff

Gelsdorfensis in Ditione Juliacensi musices cultor experientissimus. Religionem integritate morum, inocentia, suauitate suffultam immotam ab iuventute ad defexam aetatem, ubi, ubi fuit, per Germaniam, Italiam, Gallias, Hispanias circumtulit, protulit, propogavit et Caroli Theodori S. R. J Electoris Palat-Bavariae favore, gratia, nutu Musicis aulae inscriptus. Stipendus munisicentissimi Principis reliquam vitam tranquille aequanimiter exegit senio minus, quam triduana ischuria. Lacrumis amicorum, lacrumis egentium exceptus coelebs decessit V. Kal. Jun. 1797. Vixit annos 83. mens, dies 27. Heic quiescit veteris amicitiae et triennalis contupernii monumentum.

Könnte Kunst in Tönen, so wie in Farben und Marmor ausgedrückt, erhalten, und auf die Nachwelt gebracht werden, so würde gewiß Raff’s Ruhm nie vergehen! Doch verhallt ist nun seine Zauberstimme, und kein leiser Laut ist von ihm mehr übrig. Allgem. musikal. Zeit. (Leipz. 1810.) St. LIV. S. 858. und St. LV. S. 874.

Nachtrag aus: Lipowsky Musiker

Raff, (Anton). Bei diesem großen Sänger, von dem oben S. 261 die Rede gewesen, verdient noch folgendes bemerkt zu werden. Er war beim Clemens August Churfürsten von Cöln[2] geheimer Kanzelliste, sang dort, aber noch ohne Bildung, und gefiel mit seiner sehr schönen Stimme. Dieser Churfürst nahm ihn mit sich nach München, wo für den Carneval 1737 eine große italienische Oper: Demofoonte, sollte gegeben werden, wozu aber der zweite Tenor-Sänger fehlte, und den auf Geheiß seines damaligen Churfürstens Raff ersetzen sollte, der Bedenken trug sich der Rolle zu unterziehen, da er noch nie ein Theater betrat, und eben so wenig auf Recitative und Bravour-Arien eingeübt war. Der churbaierische Rath und Musikdirektor Johann Ferrandini übernahm es nun den Sänger Raff für die ihm zugedachte Singrolle in der Oper zu bilden, arrangirte die Arien für des Raff’s Stimme und damalige Stärke im Gesange, und brachte es dahin, daß bei Vorstellung der Oper: Demofoonte, Raff ungleich mehr, als der erste Tenor-Sänger gefiel, und durch seine schöne Stimme sich allgemeinen Beifall und große Bewunderung erwarb. Dieses bewog nun den Churfürsten von Cöln seinen Kanzellisten in einen Sänger umzuwandeln, und ihn nach Italien zu schicken, wo er bei dem berühmten Bernacchi[3] seine volle höhere Ausbildung erhielt, bei dem er auch gegen fünf Jahre verblieb. Da seine ausnehmend schöne Stimme, sein vortrefflicher, kunstvoller Gesang ihm einen ausgebreiteten großen Ruf verschaft hatte, erhielt er auch eine Einladung nach Madrid. Raff kam in dieser Königsstadt an, und sang in der Oper: Didone abbandonata, mit dem größten lautesten Beifalle. Er hatte in dieser Oper die Rolle des Narbas, und sein Heer bestand aus eingebornen Afrikanern, die ihm nicht nur auf der Bühne, sondern auch auf der Straße, und wo sie ihn nur immer sahen, als ihren wirklichen König verehrten, und il Re nostro! zuriefen. Diese verdroß es, daß sie in der Oper von den Weissen, dem Kriegsheere des Aeneas, sollten überwunden werden, und stellten ihm daher mit aller, einem Könige schuldigen Ehrfurcht, nach orientalischer Sitte vor, daß er nicht zugeben möchte, daß sie von den Weissen überwunden würden, denn das wäre für ihn und sie eine Schande. Er solle sie nur machen lassen -- setzten sie bei -- sie würden die Weissen schon besiegen, und ihm würde kein Haar dabei gekrümmt werden. Raff war in Verlegenheit, aus der er sich jedoch mit der Aeusserung zu ziehen wußte, indem er ihnen kund that: er wisse wohl, daß er und sie die Stärkern wären, und also die Weissen leicht bezwingen könnten; allein dieß würde dem Könige und der Königinn keine Unterhaltung gewähren, weil es etwas gewöhnliches seye, daß der Stärkere siege; allein eben dieses, daß sie als der stärkere Theil unterlägen, gewähre dem König und der Königinn eine Freude, und diese sollte man ihnen nicht benehmen. Dieses beruhigte zwar die Neger, und sie zogen ruhig ab, konnten aber doch nicht begreifen, daß Aeneas als ein Verschnittener -- der Sänger, welcher den Aeneas vorstellte, war Castrat -- einen Mann, wie ihr König Narbas wäre, besiegen sollte.


Vorheriger
Vorheriger
Eintrag
Seite 261 Seite 262 Seite 263 Seite 264 Seite 419 Seite 421 Seite 420 Nächster
Nächster
Eintrag


Fußnoten

  1. Seine letzte Oper, in der er zu München auftrat und sang, war Idomeneo, mit Musik von Mozart.
  2. Der Sohn des Churfürstens von Baiern, Maximilian Emanuel, geboren den 17. August 1700 zu Brüssel, wurde den 19. Dezember 1715 Coadjutor des Bisthums Regensburg; Bischof zu Münster den 6. März 1719; Bischof zu Paderborn den 27. März des nämlichen Jahres; Coadjutor zu Cöln den 9. Mai 1722; und endlich Churfürst daselbst den 12. Nov. 1723; worauf er den 8. Febr. 1724 das Bisthum Hildesheim und den 4. Nov. 1728 das Bisthum Osnabrück, dann den 17. Julius 1732 das Großmeisterthum des deutschen Ordens zu Mergentheim erhielt. Er starb den 6. Febr. 1761 zu Koblenz, als er eben im Begriffe war nach München zu reisen, und wurde in der Kathedral-Kirche zu Cöln begraben.
  3. Anton Bernacchi war, ein theils wegen seiner vortrefflich gebildeten Schülern, theils wegen seiner eigenen Kunst ausserordentlich berühmter Altist, geb. um 1700 zu Bologna. Er selbst ist ein Schüler des grossen Pistocchi. Er kam 1722 in churbaierische Dienste, hierauf aber in die des Kaisers zu Wien. Im Jahr 1730 nahm ihn Händel nach London, von da er 1736 in sein Vaterland zurückkehrte, und daselbst einen Raff, Amadori, Mancini, Guarducci u. s. m. bildete. Ihm eignet man die neuere Manier, die Passagen durch die Brust zu artikuliren zu.